Mittwoch, 4. Februar 2015

Myanmar - 'Trampolin bei Nacht' oder 'Ankunft in Bagan'

Wildes Gehupe rund um uns herum. Unser Taxi schlängelt sich durch Unmengen von Reisebussen. Zwischendurch taucht ein Moped auf, um dann gleich wieder zu verschwinden. Der Fahrer weicht einigen tiefen Schlaglöchern aus. Trotz der regen Betriebsamkeit ist es erstaunlich dunkel. Nur schemenhaft kann man die Umgebung erkennen.

Wir befinden uns auf dem "Highway"-Busbahnhof, eine Stunde Taxifahrt (ca. 9 USD) außerhalb des Zentrums. Von einer "Hauptstraße" der Busstation zweigen mehrere breite Seitenstraßen ab. Sie enden irgendwo in tiefer Dunkelheit und stellen eher festgefahrene Sandpisten als richtige Straßen dar. Nur am Rand werden sie von den Busbetreiber-Büros beleuchtet. Vor ihnen stehen einige Reisebusse, die dicht gedrängt auf ihr Fahrgäste warten. Eine Straßen- oder Hausbeleuchtung fehlt, so dass alles, was nicht zufälligerweise vom Aufblendlicht der rangierenden Fahrzeuge getroffen wird, lediglich zu erahnen ist.
Da uns noch eineinhalb Stunden bis zur Abfahrt unseres "VIP-Busses" nach Bagan verbleiben, lassen wir unsere großen Rucksäcke im Büro eines Busunternehmens zurück. Im Dunkeln versuchen wir Bussen, Steinen und schlafenden Hunden auszuweichen und uns einen Weg zur Hauptstraße zu bahnen. Dort drängen sich mehrere Restaurants, Bierbars und Süßigkeitenshops aneinander. Ein super Platz also, um sich ein Abendbrot zu suchen.

Eineinhalb Stunden später:
Unser Fahrer biegt von der leicht welligen Autobahn ab - wir halten an einer Art Raststätte und schälen uns aus unseren VIP-Sitzen. VIP heißt, dass es eine Klimaanlage bzw. Heizung sowie eine Toilette an Board gibt - ein wahrer Luxus. Außerdem hat jeder Mitfahrer einen weit zurück klappbaren Sitz mit zwei verstellbaren Fußablagen. Der Komfort wird noch weiter gesteigert durch eine Nackenrolle und eine Decke. Im Netz am Vordersitz warten auf jeden Passagier ein Wasser und ein Kosmetikpäckchen mit Zahlbürste, -Paste und einem sich in Wasser entfaltenden Waschlappen! Greyhound ist nichts dagegen.
Aber nun zurück zur Raststätte: Vor dem Bus laufen Reisende anderer Busse kreuz und quer. Die einen laufen zurück zu ihren Bussen, die anderen sind auf dem Weg auf die Toilette. Dabei läuft man unweigerlich an mehreren Süßigkeitenständen vorbei. Es gibt getrocknete Früchte, Bonbons und Chips aller Art. Aber auch diverse Wurzeln, die wir nicht so ganz einordnen können. Wer mehr benötigt, lässt sich im großen, etwas schmuddelig aussehenden Freiluftrestaurant nieder, wobei es schon eher mit einer in die Jahre gekommenen Kantine vergleichbar ist.
Ein Hungergefühl ist bei uns noch nicht aufgekommen, aber die Aussicht auf einen warmen, grünen Tee animiert uns, das "Restaurant" etwas nähe zu inspizieren.
Normalerweise stehen in Restaurants und Teeküchen auf den Tischen bereits Kannen mit grünem Tee und eine Schüssel mit kleinen Tassen, die in kaltem Wasser eingeweicht sind. Das kalte Wasser dient übrigens als Abwaschwasser. Allerdings finden wir ausnahmsweise hier keinen Tee vor. Er muss gesondert bestellt werden, wofür uns am Ende eine der Kassiererinnen aber glatt 5 USD berechnet. Ungeheuerlich! Haben wir für denselben Preis doch in Yangon zu zweit Abendbrot gegessen. Da hier aber, so wird uns nachher erzählt, scheinbar alle Busse in Richtung Bagan halten, stellt diese "Raststätte" ein Monopol dar und darf demzufolge auch fürstliche Preise verlangen.

Eine Stunde später verschwindet der  "Highway" vor uns immer wieder. Zurück bleiben schmale, schlecht asphaltierte Straßenabschnitte oder gar nur wellige und von Schlaglöchern durchzogene Sandpisten. Nach einigen Stunden endet der Highway gar vollständig. Den restlichen 3 Fahrstunden nach Bagan folgen wir äußerst unruhigen Nebenstraßen. Wie auf einem weichen Trampolin hüpfen wir auf unseren Sitzen hin und her. An Tiefschlaf ist nun nicht mehr zu denken. Später werden  wir allerdings noch einige rauere Transportwege und -mittel kennen lernen, so dass diese Fahrt als durchaus komfortabel bezeichnet werden kann.

"Bagan, Bagan" - ich schrecke einem dämmrigen Zustand hoch. Sven hat nichts gehört und döst noch vor sich hin.
"Bagan, Bagan", ruft der Busbegleiter von vorn. Ich wecke Sven. Schon beginnt in schlaftrunkener Hektik Gepacke, Gesuche und Gewühle. Ist auch wirklich nichts liegen geblieben? In 8 Stunden Fahrt macht man es sich ja doch etwas bequemer, denn das Ziel scheint zu fern. Aber der Bus will nicht lange halten, also muss jeder dämmrige und dösige Passagier seine Sachen schnellstens beisammen haben.
Als wir aus dem Bus steigen, schlägt uns kühle Luft entgegen. Rund um uns herum ist es dunkel. Es ist 4 Uhr morgens.  Trotz  dieser frühen Uhrzeit haben sich ein paar Taxifahrer auf den Weg zum "Highway Express"-Bahnhof von Bagan gemacht, um Kundschaft abzufangen. Es ist bekannt, dass um diese Zeit, vielleicht auch eine Stunde früher oder später, ein paar Nachtbusse eintreffen werden. Und da alle großen Busbahnhofe in Myanmar weit außerhalb  des Stadtzentrums liegen, haben Taxifahrer eine gute Chance, einen Fahrgast zu finden. Allerdings sind wir dösigen Touristen noch nicht darauf gefasst. So entsteht eine Situation, wie sie wohl zu Abermillionen Malen in Asien an jedem Tag, zu jeder Uhrzeit entsteht: Ein Tourist steigt aus und im Nu versammeln sich 5...10...20 Taxifahrer, um den begehrten und scheinbar zahlungskräftigen Gast abzufangen. Hundertmal in Vietnam geübt, überfordert mich die Situation nun im schlaftrunkenen Zustand doch etwas. Was ist aus unseren Plänen geworden, während der Fahrt in unseren Reiseführer zu schauen und die nächsten Schritte zu planen? Nun wissen wir nicht, wo wir sind, wo weitere Hotels sind...  und wo ist eigentlich die Stadt? Wir wimmeln die Taxifahrer erst  einmal ab und wollen erst Informationen sammeln. Erstaunlicherweise bekommen wenige Minuten zugebilligt, um uns in Ruhe untereinander zu unterhalten, bevor wir den Fehler begehen und unsere Rucksäcke schultern. Sofort geht der Zirkus wieder von vorn los. Ein weiteres Mal können wir sie ein wenig auf Abstand halten. Das liegt vor allem an der eigentlich sehr zurückhaltenden Art der Myanmaren, so dass auch die geradezu zelebrierten Offerten der Taxifahrer hier weitaus ruhiger und angenehmer ausfallen, als in anderen asiatischen Ländern.
Allerdings reichen uns die wenigen Minuten Ruhe auch nicht aus, um in der Dunkelheit des Busplatzes, den Reiseführer nach Informationen durchzublättern. Wir sind nur zwei von insgesamt 30 Touristen, die hier den Bus verlassen und die alle auf der Suche nach einem Zimmer sind. Hier und da hat jemand irgendwoher eine Information, glaubt etwas gelesen zu haben, aber am Ende weiß dann doch keiner so richtig Bescheid. So gehen wir auf das Angebot eines Taxifahrers ein und nehmen auf Holzbänken auf der Ladefläche eines Minitrucks Platz. Unsere Rucksäcke werden kurzerhand auf das Dach geworfen, wo sie von einem Geländer von 10 cm Höhe in Zaum gehalten werden sollen. Leicht gebückt hocken wir unter der Zeltplane, die die Ladefläche überspannt und warten auf weitere Mitfahrer. Denn das Engagement des Fahrers verrät schnell, dass er sich mit zwei Passagieren nicht zufrieden geben wird.

Auf der Ladefläche eines Mini-Trucks geht es zu nächtlicher
Stunde in die nächste Stadt.

Ein paar der umstehenden Touristen glauben zu wissen, wo es günstige Hotels gibt, können sich aber nicht für das richtige Fahrgefährt entscheiden. Also kommen sie kleckerweise zu uns und fragen uns über das Ziel, den Fahrpreis und unsere Hotelreservierung aus - bei den meisten Fragen können wir allerdings selbst nur mit den Schultern zucken. Wir wissen nix; meist noch weniger als die anderen. Am Ende leuchtet es den meisten dann doch ein, dass das Angebot unseres Fahrers unschlagbar ist: er wird uns einfach zum  Festpreis von Guesthouse zu Guesthouse fahren bis wir ein passendes gefunden haben. Klingt überzeugend!
Zu zehnt düsen wir nach 20 min Verhandlung dann endlich los.
Da die meisten von uns den richtigen Moment verpasst haben, sich lange Sachen aus dem Rucksack zu holen, sitzen wir ohne Jacken oder in kurzen Hosen im kalten Fahrtwind. Innerhalb von wenigen Minuten sind die meisten von uns durchgefroren und klappern mit den Zähnen. Nach fünf Kilometern Fahrt erscheinen die ersten Häuser von Nyaung U vor uns. Hier sollen die meisten Hotels und Guest Houses sein - haben wir gehört. Wogegen in der 3 km entfernten und südlichen Stadt Bagan keines zu finden sei. Die Bewohner wurden allesamt Anfang der 90er Jahre umgesiedelt in eine neue Stadt - New Bagan. Dort wiederum tummeln sich heutzutage die zumeist vornehmeren und teureren Hotelanlagen.



Die Nacht verkriecht sich und lässt ersten Konturen der zahlreichen
 Pagoden erahnen, die das Areal von Bagan ausmachen.
 
Bevor wir allerdings überhaupt ein Hotel einer der drei Ortschaften sehen, hält unser Mini-Truck noch vor den Toren der Stadt an. Von einem ortsansässigen Beamten werden - auch jetzt zu früher Morgenstunde - die Eintrittsgelder von 15 USD verlangt. Sie erlauben Touristen, sich im Areal von Bagan und seinen tausenden von Pagoden aufzuhalten. Laut Regierung wird das Geld verwendet, um die historischen Pagoden in Stand zu halten. So,  und nun dürfen auch wir rein.

Wir halten am ersten Guest House. Ich bin erstaunt, dass die Betreiber tatsächlich  schon wach sind und auf den Touristenstrom warten. Ein paar unserer Mitfahrer springen aus und wollen allein weiterziehen. Sie erhoffen sich wohl, so besser und schneller ein günstiges Zimmer zu ergattern. 'Je mehr Touristen, desto höher die Preise', so lautet ihre vermutete Devise. Ein paar andere springen nach ein paar Minuten wieder auf - das Hotel schein voll zu sein. Wir setzen die Fahrt fort, um nach kurzer Zeit erneut zu halten, am Pyinsa Guest House. Hier scheinen Zimmer freu zu sein. Jedenfalls winkt eine Frau mit Handtuch um den Kopf aufgeregt alle halbwegs bereitwilligen Touristen herein und verwickelt sie sogleich in ein mitreißendes und hochmotiviertes Gespräch. Wir lassen uns die Zimmer zeigen, wobei die durchaus gewiefte Geschäftsfrau den ältesten Trick der Welt anwendet: zuerst wird uns das Zimmer für 20 USD gezeigt. Es ist nicht gerade heimelig, auch riecht es etwas streng. Als wir auf Anfrage aber auch noch das 15 USD-Zimmer besichtigen dürfen, wird uns ein nicht gereinigter und herunter gekommener Raum gezeigt. Eindeutig gewinnt Zimmer eins. Und dürfen es sogar sofort beziehen. Hier hat man von der weltweit üblichen nachmittäglichen Check-in-Zeit noch nichts gehört. Man hat sich der Nachfrage angepasst. Und die Nachfrage lautet: gib dem Nachtbus-Touristen morgens um fünf ein Zimmer. Gezahlt werden erst die folgenden, voll verbrachten Nächte! Wir sind, zugegebenermaßen, positiv überrumpelt.

Mit einem einfachen Zimmer ist es aber noch nicht getan. Denn unsere liebe Hoteldame wittert weitere Geschäfte. Schnell sollen wir doch bitte unsere Sachen abstellen und dann so schnell wie möglich wieder auf die Straße rauskommen. Dort sollen wir sogleich einen Elektroroller oder ein Fahrrad mieten, um zum "sunrise" zu fahren. Gewohnt ist man hier, dass der Tourist keine Zeit hat. Also raus aus dem Zimmer, ab zum Sonnenaufgang, schnell die Pagoden besichtigt und dann fix weitergezogen, um das "restliche" Land zu besichtigen. Nicht mit uns. Wir schlafen erst einmal eine Stunde. Der Sonnenaufgang kann auch noch morgen... oder übermorgen... oder.... betrachtet werden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen