Sonntag, 1. Februar 2015

Myanmar - Mit dem Zug um Yangon

Der zum Teil recht üppig verzierte Hauptbahnhof von Yangon.
 
Ich beuge mich in das Bahnwärterhäuschen auf Bahnsteig 17. Ein Bahnbeamter winkt mir freundlich zu und bittet mich herein. Sogleich werden uns zwei Plastikstühlchen an einem Glas-vertafelten Holztisch angeboten. "One moment, please", sagt der braungebrannte Mann in Bahnwärteruniform und weist dabei auf seinen Kollegen. Erst jetzt sehe ich, dass es ein Schalterfenster, an dem der Kollege die Tickets an Passagiere verkauft. Das haben wir draußen wohl übersehen. Der Schalterbeamte ist emsig damit beschäftigt, Myanmaren und Touristen Tickets zu verkaufen.
Nach einer Weile dreht er sich zu uns um:
"One Moment, please."
Na klar, haben wir.
Weiter werden fleißig Fahrscheine ausgestellt. Schließlich dreht sich der beleibte Mann in dunkel-weißem Hemd und kleinkariertem Longyi zu uns um, er nimmt seine Füße von dem Regalbrett, welches unterhalb des Schalterfensters befestigt ist, und schlappt mit nackigen Füßen zum Sofa. Er nimmt uns gegenüber Platz. Ein Block wird gezückt und mit lateinischen Buchstaben und arabischen Zahlen ansonsten vollständig in birmanisch verfasster Fahrschein ausgefüllt. Zum Schluss müssen wir noch die Nationalität auf das Ticket schreiben. Den Grund erblicken wir erst beim Bezahlen: unter der Glastischplatte klemme eine lange Liste mit Nationalitäten, deren Vertreter schon hier waren. Ich lese France, Germany, Ghana... Vietnam. Es sind sicher mehr als 50 Länder.

Der Vordruck ist komplett birmanisch, aber der Bahnbeamte müht sich
und überreicht uns einen vollständig englisch ausgefüllten Fahrschein. 
 
Zehn Minuten später:
Der Zug ist immer noch nicht da; die Abfahrtszeit rückt näher. Auf einmal ist die Menschentraube auf unserem Bahnsteig verschwunden, inklusive der Touristen. Aber wohin?
Ich frage den Bahnsteiggehilfen. Er kann kein Englisch und gibt nach einigen Sekunden auf, mit die Situation zu erklären:
"Wait, wait."
Und schon ist er verschwunden.
Ein anderer Myanmare springt hinzu und bedeutet uns mit Händen und Füßen und einigen Brocken Englisch, dass der Zug auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig steht.
"So, do we have to go upstairs and down to gate 15?", ich zeige dabei auf den Fußgängerüberweg hoch über den Gleisen. Eigentlich will ich damit nur überprüfen, dass ich die gerade erhaltene Info auch richtig verstanden habe.
"No, no", antwortet der Mann.
"Train", er deutet wieder auf unseren Zug, "walk here", dabei zeigt er mit seiner Hand auf die Bahngleise. Na klar, wie konnte ich nur auf die Idee kommen, dass man extra die Fußgängerbrücke nimmt?
Nun gut, dann verfolgen wir also die hiesige Methode und trippeln in Flipflops (und hoch zusammengerafftem Longyi) durch das steinige, aufgewühlte und vermüllte Gleisbett.
Am Zug angekommen werden wir erneut darauf hingewiesen, dass wir ausschließlich in den gelben Waggons - der Upper Class - Platz nehmen dürfen, die Grünen sind für Einheimische gedacht. Wir werfen kurz einen Blick in beide Waggontypen: der einzige Unterschied ist, dass in den grünen Waggons Grünzeug auf dem Boden liegt und sich im gelben die Touristen tummeln.
'Lohnt nicht, hier zu rebellieren', denken wir uns. Und wenn nach ein paar Stationen ausschließlich Touristen in unserem Waggon sein sollten, können wir immer noch wechseln.
Brauchen wir aber nicht, denn von Station zu Station werden es immer weniger Touristen und mehr Einheimisch. Das liegt vermutlich daran, dass die Fahrt rund um Yangon mittlerweile in jedem Reiseführer  und selbst auf spiegel-online.de (http://www.spiegel.de/reise/fernweh/burma-in-der-circle-line-rund-um-rangun-a-998429.html ) als Geheimtipp angepriesen wird. Und wie wir auch in den folgenden Wochen noch erleben werden, ist jeder "Geheimtipp" schon von zig Touris heimgesucht. Verständlicherweise - aber dazu später mehr.  Den meisten der Touristen ist die Aussicht auf eine fast 3- bis 4-stündige Fahrt ohne Toilette, ohne Zugfenster und -tür nicht komfortabel genug. Deshalb fahren die meisten nur ein paar Stationen mit, um wenigstens den Randbezirk des Stadtzentrums zu sehen, ohne sich die komplette 50 km lange Strecke anzutun.

Neben mit nimmt ein Myanmare Platz. Draußen vorm Fenster sehe ich, wie eine Frau mit ihrem Kind ein Schläfchen auf einer Bank am Bahnsteig macht. Neben ihr in der Sonne liegen Kindersachen zum Trocknen ausgebreitet. Ein paar Meter entfernt balanciert eine Frau Essen auf einem großen Edelstahltablett freihändig auf ihrem Kopf. Während der Zug anrollt und in Schrittgeschwindigkeit bis zum Ende des Bahnsteigs fährt, springen weitere Fahrgäste auf. Unser Waggon ist nun gut gefüllt. Draußen am Fenster ziehen die letzten Meter des Bahnsteigs vorbei. Im Hintergrund hängen etliche Wäschestücke zum Trocknen über einem Maschendrahtzaun zwischen zwei Gleisen. Haben die zahlreichen Händler/innen im Bahnhofsvorraum heute morgen diese Wäsche mitgebracht oder ist das es für einige Menschen sogar eine Art Zuhause?

Eine Händlerin am Bahnhof, die beinahe
schon artistisch ihre Ware anbietet.

Nicht immer kann man unterscheiden, ob die Menschen nur verweilen
oder sogar hier wohnen.
Unser Zug wackelt stark von links nach rechts und wieder zurück. Ich schaue raus, kann aber die Ursache nicht erkennen. Vermutlich haben sich die Schienen unterschiedlich stark gesetzt. Zum Teil sieht man deutlich, wie ein Gleis in den weichen Boden eingesunken ist. Die Schwellen sind an manchen Stellen ganz verschwunden und von weicher Erde und Gras bedeckt.
Die Schienenstücke sind nicht aneinander geschweißt, sondern lassen eine bis zum 10 cm große Lücke erkennen. Zwei Klammern rechts und links halten die Schienen zusammen.
Eine Frau läuft im Nachbargleis entlang. Ich schaue ihr nach. Hinter dem Zugende biegt sie ein und führt ihren Weg auf unserem Gleis fort.
Neben uns und im Gleis Zwischenraum tauchen immer wieder Wäschestücke auf. Zum Teil sind sie mit Steinen beschwert, damit sie nicht weggeweht werden. Über wie viele Wäschestücke fahren wir gerade?

Gefängnis oder Wohnblock?

Im Hintergrund erblicke ich kleine Bambus- und Rattanhütten auf. Zum Teils sind sie nur als Verschläge zusammen gezimmert. Sie wechseln sich mit Holzhäusern ab, die die Anmutung eines großen, europäischen Gartenhäuschens haben. Immer wieder wird dieses Bild von großen, herrschaftlichen Häusern im Kolonialstil unterbrochen. Unser Waggon verschwindet im Schatten einer Brücke. Kloakengeruch schlägt uns durch das offen Bahnfenster entgegen. Träge tummeln sich streunende Hunde am Brückenpfosten. Am Ende der Unterführung streicht ein Mann mit einem breiten Pinsel dünne Farbe auf die Pfeiler. Es wirkt etwas verloren, beinahe so, als bemühe er sich, ein Zeichen gegen den Geruch und den allgemein verbreiteten Eindruck der Verwahrlosung zu setzen.


Der Hauptbahnhof ist der einzige große Bahnhof dieser Strecke.
Alle anderen Bahnhöfe sind kleiner und werden in Zentrumsnähe kaum frequentiert.


Neu gebaute, hohe Wohnhäuser neben kleinen Hütten
- in Myanmar kein seltener Anblick.

Auch ohne die moderne Neigetechnik legt
dieser Zug sich beachtlich in die Kurve.


Der Mann neben mir ist eingeschlafen. Sein Kinn ist auf seine Brust gesunken. Mir schräg gegenüber sitzt eine junge Frau, die Sven und mich abwechselnde, fasziniert anschaut. Sie gehört zu einer der wenigen Myanmaren, die sich durch ein Lächeln des Gegenübers nicht aus der Schüchternheit heraus locken lassen. Ich lächele, schnell schaut sie weg.
Auf der anderen Seite des Gangs befindet sich eine weitere 4er Sitzgruppe. Drei Myanmaren drängen sich um einen am Gang sitzenden Darmstädter. Er hat einen Schattenplatz ergattert und lies in seinem Reiseführer.
Mein Blick schweift weiter im Zug herum. Über dem Gang hängt ein kleiner Ventilator der sich hektisch von links nach rechts dreht. Dahinter erblicke ich ein Schild mit drei durchgestrichenen Symbolen: Nicht rauchen, keinen Müll wegwerfen, nicht küssen.

Nicht rauchen, keinen Müll wegwerfen, nicht Küssen!


Eine Stunde später:
An uns ziehen freie Felder, Fabrikanlagen und hohe Wohnhäuser vorbei. Zwischendrin tauchen immer wieder ganze Siedlungen aus einfachen Holzhäusern und Bretterverschlägen auf. Manche sind so groß, wie ein Gartenhäuschen, andere können lediglich einem Ein-Mann-Zelt Konkurrenz machen. Lachende Kinder laufen aus den Häusern und winken dem Zug.
Zwischen den Gleisen und den Wohnsiedlungen befindet sich jetzt ein breiter grüner Streifen, der zum Teil mit Wasser überflutet ist und für den Anbau von Gemüse, einer Art Wasserkraut, genutzt wird.

Zwei Bauern kümmern sich um das Feld zwischen Wohnhaus und Bahnlinie.

Etwas später lichtet sich die Umgebung etwas. Recht von uns befinden sich nun abgeerntete Felder. Jungs in Longyis und alten Sportjacken laufen auf dem Bahndamm in der senkenden Nachmittagshitze. Der Zug legt sich in die Kurve. Ah ja, nun ist knapp die Hälfte der Route geschafft. Wir fahren nördlich um Yangon einen weiten Bogen, um anschließend in die östlichen (Vorort-) Viertel der Stadt wieder einzutauchen.




Ganz am Rand von Yangon wird das Leben fast ländlich.



Eine halbe Stunde später:
Wir halten mal wieder ein einem der kleinen Vorort-Bahnhöfe. Auf dem Bahnsteig drängen sich ein paar Freuen und Männer. Sie reichen Körbe und große Teller zu den Zugfenstern und Türen hoch. Im Schatten des Bahnhofgebäudes liegen drei Soldaten in Uniform und mit Maschinengewehr auf der Brust in Liegestühlen und dösen vor sich hin.


Bahnhöfe sind nicht nur Umschlagplätze für Waren und
Menschen, sondern auch wichtige Handelszentren.

Ein kleiner Junge kommt in unseren Waggon gesprungen. Er bietet Wasser an und hat recht große Eile, den Zug noch vorm Anfahren wieder zu verlassen. Ein myanmarisches Ehepaar kauft eine Flasche. Der Darmstädter, der mittlerweile seinen Schattenplatz aufgegeben hat, zögert noch. Der kleine Junge dreht sich bereits zum Ausgang, als der Deutsch sich schlussendlich doch entscheidet und dem Jungen hinterher ruft. Dieser scheint fast im Sprung abzubremsen, zögert kurz, dreht sich dann aber doch um. Er weiß, dass er nur wenige Sekunden für seine Geschäfte hat bis der Zug den Bahnhof wieder verlässt. Andererseits ist die Aussicht auf 500 Kyat, umgerechnet 50 US-Cent, zu verlockend. In aller Eile reicht er die Flasche Wasser. Der Darmstädter öffnet sein Portemonnaie.
"Oh nein", entfernt es mir in Gedanken. Alle im Umkreis halten den Atem an und scheinen mit zu fiebern. Der Junge macht mittlerweile den Eindruck, als müsste er auf Toilette. Eile bringt wohl an allen Ecken der Welt dieselbe Reaktion hervor. Das myanmarische Pärchen erkennt die verzwickte Situation des kleinen Jungen innerhalb weniger Sekunden. Ohne hinzusehen zieht der Mann einen 500-Kyat-Schein aus seiner Brusttasche. Der Junge lächelt erleichtert und glücklich und springt mit fünf Sätzen aus dem schon anrollenden Zug. Der Darmstädter hat nun auch einen 500-Kyat-Schein gefunden und reicht ihn dem Mann gegenüber. Der lehnt lächelnd ab. Eine Frage des Stolze?
Der Deutsche wendet sich zu uns und hält die Flasche hoch. Lächelnd und nicht ohne eine Anflug von Stolz meint er: "Guckt mal: ich habe gerade eine Flasche Wasser geschenkt bekommen."
Ich nicke ihm höflich zu.
Als er die Flasche öffnet, fällt mir auf, dass der Sicherheitsverschluss fehlt. Ich hoffe inständig, dass der Darmstädter eine gesunde Darmflora oder einfach nur Glück hat.


Manchmal kann man einen Blick bis in die Wohnräume erhaschen.


Vorm Fenster ziehen nun einige Meditationszentren vorbei. Die gewaschenen Mönchsroben wehen im Wind. Dunkelrot und gedeckt-orange heben sie sich gegen das Braun der Holzhäuser ab. An der Kante des Bahndamms sitzen Mütter und entlausen ihren Töchtern die Haare. Ein paar Händler bieten vorbeifahrenden Moped kleine Snacks an.
Die Mönchsgewänder rücken immer häufiger in unser Blickfeld. Die zugehörigen Meditationszentren und Klöster werden immer größer und pompöser je näher wir wieder der Innenstadt kommen. Zwischendrin erblicken wir die weißen und goldenen Dächer einzelner Pagoden.


Eine der zahlreichen Pagoden entlang der knapp
50 km langen Bahnlinie rund um Yangon.


Nach circa drei Stunden Zugfahrt hat die Hitze ihren Höhepunkt erreicht. Der Ventilator und die scheibenlosen Fenster schaffen es nicht mehr, den Waggon abzukühlen. Unser deutscher Mitreisender blättert wieder in seinem Reiseführer. Ab und zu schweift sein Blick zum Fenster. In seinen Ohren stecken Kopfhörer. Wenigstens erfreut er sich noch bester Gesundheit.
Vor unserem Fenster wird das Schienenbett breiter. Mit fast leerem Waggon rollen wir in Schrittgeschwindigkeit in den Hauptbahnhof ein. Sofort verschlingt uns das rege Treiben des Bahnsteigs.

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