Samstag, 25. Oktober 2014

Brighton/UK - 8 Stunden Meditation

Vor wenigern Jahren - zu Beginn meines Studiums - verbrachte ich mehrere Tage in einem buddhistischen Kloster in Brighton. Für 8 Stunden Gartenarbeit an 6 Tagen in der Woche konnte ich am buddhistischen Gemeinschaftsleben und Meditationen teilnehmen und genoss Kost und Logis (siehe auch: "Brighton/UK - Buddhistisch Gärtnern").
Wie so ein Tag in einem modernen buddhistischen Kloster aussieht?
Ungefähr so:
Morgens um sieben treffen sich die Nonnen, Mönche und Novizen im gemeinschaftlichen Meditationsraum. Die morgendliche Meditation findet ohne die Besucher, im kleinen Kreis der spirituellen, ständigen Klosterbewohner statt. Ein zarte, leichte Melodie, die durch die dünnen Holztüren und Decken dringt, melden Anfang und Ende des meditativen Rückzugs. Noch Wochen später sollte mir diese Melodie jeden Morgen durch den Kopf gehen. Anschließend rauschen die Nonnen und Mönche in ihren roten Gewändern, meist lachend und schwatzend aus dem Raum und verteilen sich im Haus. Der ein oder andere zieht sich für ein individuelles Studium zurück, ein anderer macht sich im Haus nützlich. Für alle Volunteers und Wwoofer ist es die Zeit, die Beine aus dem Bett zu bekommen und sich in der Küche etwas Essbares zum Frühstücken zu suchen. Je mehr Wwoofer da sind, desto einfacher. Denn die Hausbewohner achten darauf, dass stets Lebensmittel da sind, die Vielfalt wird mit zunehmend sinkender Bewohneranzahl aber auch geringer. Ein guter Grund also, sich den morgendliche Porridge anzugewöhnen - das braucht nicht viele Zutaten und bringt durch die Wärme den Bauch erst einmal in einen arbeitsfähigen und munteren Zustand.
Anschließend geht es raus an dich frische Luft. Ein Novize - ein 28-jähriger Isländer, der erst seit wenigen Wochen im Kloster verweilt - zeigt den Volunteers ihre Aufgaben. Bei mir heißt das: Gummistiefel an, raus in den Garten. Dieser wurde nach diversen fernöstlichen Lehren angelegt, sieht im Grunde auch sehr spirituell, manchmal gar etwas geheimnisvoll aus. Leider hat er unter dem üppigen britischen Sommerregen aber auch etwas zu viel an "Grün" zugelegt. Sämtliche Wege, die mit weißen, kleinen, runden Kieselsteinen bestreut sind, müssen gejätet werden. Hinzu kommen zahlreiche Beete mit unterschiedlichen Pflanzen, Grünrabatten, geheime Rückzugsecken .... Ein Labyrinth an Grünzeug und nicht immer ist ganz klar, was eigentlich wirklich an Ort und Stelle gehört. Kurz vor dem Mittagessen geht es für mich wieder ins Haus. In der Küche wird das gemeinschaftliche Mittagessen gekocht. Anführender Koch ist zumeist ein Mönch oder Nonne, dem ich an drei Tagen in der Woche zur Hand gehen darf. Gleich bei meinem ersten Kücheneinsatz lerne ich traditionelles Curry zu kochen. Der Koch ist ein indischer Mönch, der seit mehreren Jahrzehnten bereits in Großbritannien lebt. Es stellt sich heraus, dass er die Äbtin des Klosters in Dresden (die Stadt in der ich gerade studiere) kennt. Mit seinem runden, braungebrannten Gesicht hat man den Eindruck, dass er einen bei jedem Wort anlächelt. Oft macht er beim Sprechen den Mund weit auf, lacht schallend oder lässt einen fröhlichen Laut entweichen. Ich kämpfe immer noch mit meinen Sprachschwierigkeiten, doch das scheint ihn nicht zu stören. Wenn er mir einen Satz das dritte Mal wiederholen muss, ist es für ihn trotzdem noch ein Grund zu lächeln. Er hat ja Recht, die Welt geht davon nicht unter und sich verrückt zu machen, weil man keine Sprachbegabung hat, macht auch alles nur noch schlimmer.
Kurze Zeit später tritt ein anderer junger Bewohner ein, der in Brighton studiert und das Kloster mehr als Wohn- als spirituelle Stätte nutzt. Dies wird durchaus von allen Nonnen und Mönchen toleriert. Jeder soll schließlich das tun, was seinem Seelenheil am nächsten kommt ohne dabei jedoch egoistisch zu werden. Nach den üblichen Floskeln über den Weg, der einen ins Kloster führte, was man "im wahren Leben" so macht, landeten wir schnell bei der Frage, wo ich herkomme. Leider löste meine geografische Beschreibung, die "next to Dresden" enthielt einige Bestürzung meines Gegenübers aus. Er wurde nachdenklich, still und sagte kein Wort mehr. Nach einigen Minuten des Schweigens, fängt er mir an zu erklären, welch tragische Geschichte Dresden mit Großbritannien verbindet. Mir ist das durchaus bewusst und ich versuche ihm zu erklären, dass das ein Thema ist, welches jedes Kind im Geschichtsunterricht lernt. Außerdem lasse ich meine Bestürzung über die damaligen Ereignisse verlauten. Meinem Gegenüber ist das allerdings nicht genug. Als nächstes beginnt er mir nähere Umstände der Nazi-Herrschaft zu erläutern und die Verantwortung der damaligen und heutigen Generation. Ich verstehe nicht so recht, wie ich reagieren soll. Mein Gesprächspartner beginnt nun durch immer mehr Erläuterungen und gezielte Fragen mit eine Entschuldigung im Namen meiner Urgroßeltern zu entlocken. Ich bin total perplex. Während ich fassungslos mich versuche auf die Pilze, die ich gerade schneide zu konzentrieren, springt der indische Mönch dazwischen und meint, dass es nun gut sein und verabschiedet höflich aber konsequent meinen Gesprächspartner. Dieser trottet tatsächlich davon und lässt die Fragen im Raum stehen. Nach kurzer Zeit ist die Stimmung wieder ausgelassener, ich lerne einige indische Gewürze kennen. Die eigentümliche Unterhaltung lässt mich allerdings auch in den nächsten Tagen nicht ganz los. Sollte man sich für die Taten seiner Ahnengenerationen entschuldigen?
Nach einer Stunden unermüdlichen schneiden, umrühren, dünsten und kochen, ist das Mittagessen bereitet. Alle Bewohner des Klosters, die keiner Arbeit außerhalb nachkommen, sind herzlich eingeladen an einer langen hölzernen Tafel im Gemeinschaftraum Platz zu nehmen. Vor allem die älteren Damen und Herren genießen dann die lockere Atmosphäre in der herzlichen Gesellschaft zu verweilen. Mich spricht mein Sitznachbar an - ein 58-Jähriger Mann, der einige Brocken Deutsch hervorzaubert. Ich bin so perplex, dass ich ihn im ersten Moment gar nicht verstehe, als er mir einen "Guten Appetit" wünscht. Nach einer netten Plauderei stellt er sich heraus, dass er für einen Sonntagsausflug noch ein paar Begleitungen sucht. Schnell sagen eine Spanierin, die ebenfalls als Wwooferin im Kloster eintraf und nun bereits schon 3 Monaten hier wohnt, und ich zu. Für uns ist es eine super Gelegenheit die Umgebung kennen zu lernen, in lockeren Unterhaltungen unser Englisch zu trainieren und dazu noch einen Blick auf den Geschichten-umwobenen "Tausendmorgenwald" aus Winnie the Pooh zu werfen.
Nach dem Mittagessen geht es für mich wieder in den Garten. Die Arbeit dort kann nach dem dritten Regenschauer und scheinbar endlosen Stunden auf den Knien eintönig werden. Aber genau das ist das Geheimnis dahinter. Denn erst wenn man sich auf nur noch auf eine Sache konzentriert und monotone Handlungen laden dazu ein, kann ein Zustand der Meditation erreicht werden. Bevor das allerdings eintreten kann, entsteht allerdings ein ganzer Strudel an Gedanken. Trauer, Wut, Schmerz, Stress, Druck, Erleichterung, Freude, totale Verzweiflung.... Alle gedanklichen Zustände, die einem einfallen, haben in 8 Stunden Gartenarbeit Platz. Vor allem wenn die Arbeit körperlich eigentlich nicht anstrengend ist. Resultat ist, dass man in den ersten Tagen zum Feierabend fix und fertig ist, sich durchaus aber auch erleichtert fühlt. Nach einigen Tagen hat man so ziemlich alle innerlichen Schranken gedanklich durchgearbeitet - es macht sich ein befreiendes Gefühl breit. Die Konzentration und die Laune steigern sich und man beginnt freier zu lachen, zu erzählen und wird lockerer. Was so ein bisschen Rückzug in sich selbst alles bewirken kann...
Zum Spätnachmittag geht es wieder ins Haus. Die Nonnen und Mönche schwirren durch die Gegend. Sie haben ihr persönliche Studium beendet und unterhalten sich fröhlich mit ihren Mitbewohnern, die zum Teil gerade erst von der Arbeit nach Hause gekehrt sind. Die Rentner unter ihnen genießen die familiäre Umgebung. Wiederum gibt es eine gemeinschaftlich eingenommene Mahlzeit. Die Tafel ist nun gänzlich gefüllt. Es besteht allerdings auch kein Zweifel, dass in der herzlichen Gemeinschaft durch Zusammenrücken auch noch weitere zehn Menschen Platz haben. Jeder ist willkommen und wird mit offenen Armen und einem breiten Lächeln empfangen.
Nach dem Abendessen führt mich meine Zimmernachbarin - Susan - in den Keller. Dort befindet sich hinter verschlossener Tür ihr geheimes Reich. Kalt ist es dort, aber das vergisst man schnell, wenn man sich über eine ihrer zahllosen buddhistischen Gipsfiguren beugt. Diese malt sie jeden Feierabend in aller Ruhe an. Zweifelsohne ist es nicht ein simples "Anmalen", auch kein "Zeichnen". Es ist eine Kunst für sich. Stolz zeigt mir Susan einen Ordner mit Bildern, die dokumentieren, wie vor einigen Jahren die überlebensgroße Buddhastatue im Meditationsraum geschaffen wurde. Das Grundgerüst bildet ein Messingguss, auf dem schichtweise Gips aufgetragen wurden. Es folgte x Lackschichten, die immer wieder glatt poliert und schlussendlich versiegelt wurden. Es ist der Stolz des ganzen Klosters. Mehr als ein halbes Jahr hat man dran gearbeitet - und zwar die ganze Gemeinschaft. Jeder war eingeladen, bei sämtlichen handwerklichen und künstlerischen Schritten zu helfen. Dagegen ist der Kellerraum nur das Reich von Susan, wo sich unzählige angemalte und unangemalte kleine Gipsfiguren reihen. Während oben im Gemeinschaftsraum gedämpfte Gespräche geführt, in der Küche Witze erzählt und in der Lounge Bücher gelesen werden, verbringt sie ihre "meditative" Zeit hier. Erst spät abends taucht sie wieder in den oberen Geschossen auf. Die Gespräche haben sich mittlerweile gelegt, nur noch wenige sitzen vor dem Kamin und lesen. Die meisten sind bereits zur Ruhe gegangen oder haben sich einer verspäteten abendlichen Meditation angeschlossen. Am folgenden Tag wird es eine Puja geben. Deshalb ziehen sich die Bewohner heute schon früher zurück, um am nächsten Tag ausgeruht zu sein. Auch ich lege mich zur Ruhe. Immer noch bin ich von meiner anfänglichen Erkrankung geschwächt. Beim Einschlafen höre ich die Melodie, die das Ende der Meditation verkündet.
Eine Lehrerin, die ebenfalls gerade nach Hause gekehrt ist,



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