Donnerstag, 18. Dezember 2014

Auf nach Myanmar – die Einreise

Wir stehen vor unserem Hotel und winken ein Taxi herbei. Ein Taxifahrer, der auf der anderen Straßenseite fährt, sieht uns und vollführt sogleich eine Vollbremsung. Okay, er fuhr sowieso nur ca. 30 km/h. Trotzdem muss der Bus hinter ihm ebenfalls eine Vollbremsung machen und beginnt sogleich ein wildes Hubkonzert. Unser Taxifahrer, immer noch unbeirrt, zieht langsam auf die linke Straßenseite. Ein älterer Mann auf dem Fahrrad, der genau genommen auf der falschen Straßenseite fährt, weicht ihm aus. Ein Moped zieht auf der linken Seite einen Bogen um ihn, um gleich ebenfalls in den Gegenverkehr zu geraten. Uns Taxi steht nun leicht schräg auf der verkehrten Straßenseite. Schnell springen Hotel-Boy und Fahrer herbei und helfen uns die Rucksäcke in den Kofferraum zu werfen. Dabei wirken sie recht hektisch. Kurze Zeit später, das Taxi fährt nun wieder auf gewohnter Straßenseite, „erklärt“ uns der Taxifahrer, dass ihn bereits ein Polizist bemerkt und verwarnt hatte: „Police“....seine rechte Hand geht zum Mund....seine Augen werden größer...er pustet die Wangen auf und lässt einen hohlen Pfiff hören...“Police“. Alles klar, wir haben verstanden. Wir wollen natürlich auch nicht, dass er Ärger bekommt. Da wir ja nun bereits im Taxi sitzen, nicken wir nur noch brav.

- ca. 15 min später -

Unser Taxifahrer wird immer unruhiger. Wir stecken im morgendlichen Stadtverkehr fest. Ein paar Mal schlägt er mit den Händen auf das Lenkrad und gibt einen Zwischlaut wieder. Diesen Laut – ein Zischen zwischen den Zähnen mit einem leicht sinkenden Unterton – wird in Vietnam häufig von Männern wiedergegeben, wenn sie sich gern aufregen würden, es aber nicht können, trotzdem ihren Unmut kundtun möchten. Ich habe diesen Laut häufig in der Vergangenheit bei männlichen Kollegen gehört, die sich genervt fühlten und in diesen Momenten auch gern laut wurden, es aus Anstand aber nicht konnten.

Nach einigen Minuten platzt dann doch der Unmut aus unserem Taxifahrer hervor: ...“summzumm“...er rollt die Finger ein und tut so als würde er einen Lenker umgreifen...“summzumm“...“nono“....er rollt genervt mit den Augen...“summzumm“... er schlägt beide Handflächen zusammen und fährt dann mit den Händen in Kurven nach links und nach rechts...“tzzzzzz“. Ich schaue nach links und rechts. Soooo wahnsinnig viele Motorräder sehe ich gar nicht. Ich weiß nicht wovon der Stau kommt, vor uns und hinter uns stehen nur Autos. Ein paar einzelne Motorräder umfahren den Stau kurzerhand auf dem Bürgersteig und biegen an der nächsten Kreuzung wieder ein, um anschließend auf der Straße weiter zu fahren. Vielleicht meinte der Fahrer ja genau das.

- ca. 10 min später -

Wir sind dank zahlreicher, etwas hektischer Manöver unseres Taxifahrers bereits nach unglaublichen 25 min am Flughafen. Entweder der Fahrer dachte, wir hätten es besondern eilig oder er war stolz so eine „lange“ Fahrt zum Flughafen ergattert zu haben oder jedoch er wollte uns seine Fahrkünste beweisen. Vielleicht auch von jedem etwas. Zum krönenden Abschluss kommt es, als wir den Fahrpreis auf den Taxometer (jepp, haben wir extra einschalten lassen) sehen: 130.000 VND, also ca. die Hälfte, die wir auf dem Hinweg stadteinwärts zum Festpreis bezahlt hatten. Und da hatten wir uns ja schon wie Schneekönige gefreut.

- Szenenwechsel -

Ich muss meine inner-vietnamesischen Flüge, die im Anschluss an meinen Urlaub statt finden, noch umbuchen. Da wir entsprechend zeitig am Flughafen sind, nutze ich die Chance und wende mich an den Vietnam Airlines Ticket Schalter. Man muss dazu wissen, dass an vietnamesischen Flughäfen keine andere Airlines so präsent ist – vergleichbar mit Lufthansa in Deutschland, nur dass hier fast schon ein Monopol herrscht. Lediglich ein paar Billigflieger üben Konkurrenz aus. Internationale Fluggesellschaften steuern zwar die Flugplätze an, unterhalten aber kaum Service- oder eigene Check-In-Schalter,

Gespannt verfolge ich die Diskussion, die der Mann vor mir am Schalter entfacht hat. Er möchte gern sein Ticket für den Flug, der wohl noch diesen Morgen statt finden soll, umbuchen auf ein späteres Datum. Ihm kann nicht geholfen werden – er wird an das Service-Büro in der Innenstadt von HCMC (Ho Chi Minh City) verwiesen. Nun bin ich an der Reihe: ich trage mein Anliegen vor. Aber nein, auch mir könne man nicht helfen, denn meine Flüge würden ja erst im Januar statt finden. Das wäre viel zu früh. Auch darumm könne sich nur das Service-Büro in HCMC kümmern. Ich solle mich doch bitte dahin wenden. Wie bereits an anderer Stelle in Deutschland und im Internet festgestellt: hat man ein Anliegen bei Vietnam Airlines vorzutragen, muss man sich persönlich und direkt vor Ort im nächstgelegenen Service-Büro melden – Frankfurt, HCMC und Hanoi sind hier die Anlaufstellen. Wohlgemerkt befinden sich all diese Büros immer im Zentrum nicht am Flughafen!

HCMC - Eine Fahrradfahrerin dreht einsam ihre Runden
neben dem Rollfeld, um Müll aufzusammeln und in ihrem Körbchen zu sammeln.

- Szenenwechsel -

Unser Flugzeug ist bereits seit über 1:10 Stunden in der Luft und macht sich 40 min im Voraus auf die Landung bereit. Trotzdem wir nur eine Flughöhe von etwas über 5000 m hatten, gestaltet sich das Absinken als recht ruckelig und rau. Die Landung wird nicht minder spannend. Wir sitzen in einer für kleine asiatische Flughäfen großem Flugzeug mit ungefähr 180 Passagieren. „Aber hier handelt es sich doch immerhin um den größten Flughafen des Landes“, so dachte ich. Der Flieger geht tiefer und tiefer. Als wir noch ca. 10 m vom Boden entfernt sind, ist noch immer keine Landebahn in Sicht – lediglich grüne Felder sind zu sehen. Der Flieger geht tiefer... dann endlich ist eine Landebahn unter uns zu sehen und genau in diesem Moment setzt das Flugzeug auf. Das nenne ich mal eine „Punktlandung“. Der Pilot gibt sofort vollen Umkehrschub und schon ist auch das Ende der Landebahn erreicht. Mit noch recht hoher Geschwindigkeit rollt das Flugzeug um die Kurve und kommt schließlich zum Stehen. Zugegebenermaßen ist es keine der berühmt berüchtigten Landepisten im Himalaya, allzu viel Puffer bleibt aber auch hier nicht.


Etwas plump, aber effektloser kann man Diät-Werbung wohl kaum verpacken.

Als ich aus dem Fenster schaue, ist dort ein hohes, altes Gebäude zu sehen. Das Dach und der Dachfirst sind über und über mit goldfarbenen Ornamenten verziert. Es sieht ein bisschen so aus wie in 1001 Nacht, nur dass eine südostasiatische Dachkonstruktion verwendet wurde.

Bereits auf dem Flughafen versucht das reich verzierte Land,
Eindruck zu machen.

- ca. 30 min später -

Wir schlängeln uns durch das Flughafengebäude. Vor einer Rolltreppe versperrt uns ein ca. 1,5 m hohes Schild den Weg, auf dem in englischer Sprache 10-Benimmhinweise für Touristen geschrieben stehen. Unter anderem wird darauf hingewiesen, dass Myanmaren ein höfliches und nettes Volk sind und dass man ihnen ebenso viel Respekt entgegen bringen sollte; Füße sollten beim Sitzen niemanden, besonders keinen Mönchen und Buddha-Statuen, entgegen gestreckt, sondern stets verdeckt werden; Pants und Spaghetti-Trägershirts sollte man nicht als Garderobe wählen usw. Nett und freundlich bedankt sich in der untersten Zeile der Myanmarische Regierung bzw. dessen Tourismus-Ministerium.

Während ich die Punkte noch verarbeite, rollen wir mit der Rolltreppe automatisch in das Scanfeld einer Wärmebildkamera. Auch hier ist man offensichtlich den unkomplizierten Weg gegangen und hat einfach gehandelt, ohne große Diskussionen zu zulassen. Inwieweit der Scan sinnvoll ist, kann ich nicht abschätzen.

- ca. 5 min später -

Während mein Handy in meiner Handtasche noch nach der aktuellen Uhrzeit scannt (Myanmar ist der Vietnam-Zeit um eine halbe Stunde hinterher, im Winter sind es also 5,5 Stunden Zeitverschiebung zu Deutschland), warte ich in der Schlange vorm „Immigration Desk“ auf die Passkontrolle und starre dabei ungläubig auf etwas, was entfernt wie eine Lavalampe mit nicht-transparenten Scheiben aussieht. Es scheint noch in der Verpackung zu stecken, trotzdem aber angeschaltet zu sein. Als Firmenname prangt groß Samsung drauf, wie übrigens auch an zahlreichen anderen Stellen dieses Flughafens. (Myanmar scheint momentan ein aufstrebender und beliebter Markt für Smartphones zu sein.) Während ich immer noch gebannt auf die kleine Minirakete vor der Zollbeamtin starre, rücke ich weiter vor an den Schalter. Während ich der Frau meinen Ausweis hinhalte und freundlich lächel, versuche ich aus den Augenwinkeln zu erkennen, was auf der Verpackung steht. Die Frau lächelt mich an, nimmt meinen Pass entgegen und sagt „Guten Morgen“. Verwirrt blinzel ich sie an... Was?... Äh....Mist, wie war das myanmarische Wort für „Hallo“...hab ich vergessen...äh...und was genau heißt denn das da auf der Mini-Rakete...“Good Morning“...ich bin immer noch perplex. Seit wann reden Zollbeamte und haben dann auch noch Fremdsprachenkenntnisse? Wann immer bisher ein Zollbeamter bei der Passkontrolle am Flughafen mit mir gesprochen hat, bedeutete das nichts gutes. Und was ist eigentlich ein Viren-Filter (Mini-Rakete)?

- ca. 10 min später -
Wir warten am Gepäckband auf unsere Rucksäcke. Plötzlich wird es dunkel. Die Einheimischen fangen an zu schmunzeln. Ich überlege, wo ich zuletzt unsere Stirnlampen gesehen habe – 'Ach ja, im Rucksack ganz oben'. Nach wenigen Sekunden ist der Spuk wieder vorbei. Die Werbung fängt langsam an zu blinken, die Computer fahren wieder hoch und das Gepäckband rollt an. Die Einheimischen nehmen es gelassen, in den Touristen ist eher ein gewisser „Aha-Effekt“ zu sehen. Nun kann jeder einordnen, was gemeint ist, wenn im Reiseführer steht, dass die Stromversorgung instabil ist.

- ca. 5 min später -

Wir sitzen im Taxi, der uns für einen Festpreis von umgerechnet 9 USD in die Innenstadt Yangons fährt.

Ein Taxometer besitzt übrigens kein einziges Taxi in Myanmar. Hier wird noch vor dem Einsteigen ein Preis ausgehandelt bzw. der Kunde fragt zum Festpreis an und macht einen Vorschlag. Der Fahrer geht entweder nach einem kurzen Dialog drauf ein oder gibt schon in der Mitte des Dialogs leicht Zwischengas. Ein klares Zeichen dafür, dass seine Geduld begrenzt ist und man sein Glück mit dem nächsten Taxifahrer versuchen sollte. Fast scheint es so, als müssten Passanten nach Taxis buhlen und nicht umgekehrt.

Eine andere Möglichkeit ist es, diese Buhlerei einfach jemand anderem zu überlassen, wie dem offiziellen Taxistand am Flughafen.
Wir sitzen auf der Rückbank, unsere Rucksäcke sind im Kofferraum verstaut. Der Fahrer steigt ein, aber auf der falschen Seite. Erst jetzt registriere ich, dass das Lenkrad links ist. 'Aha', denke ich,'ein Überbleibsel aus ehemaliger, britischer Kolonialzeit.' Der Fahrer biegt auf die 4-spurige Straße, die uns vom Flughafen wegführt, ein und fährt die folgenden Kilometer auf der rechten Spur!

Erst am nächsten Tag wird uns erklärt, dass das daher kommt, dass die Briten zu Beginn ihrer Kolonialherrschaft den Rechtsverkehr einführt, Myanmar aber nicht wie GB in den 40er Jahren die Straßenseite wechselten. Hinzu kommt, dass sie den Großteil ihrer Autos aus Japan beziehen, so dass sie irgendwie andersherum fahren, als alle anderen auf der Welt. Lediglich einen Bus sehen wir später, der von der linken Seite aus gesteuert wird. Witzigerweise nimmt der Fahrer aber den linken Arm, steckt in unter dem rechten durch, so dass er mit gewohnter Körperseite schalten kann.

Wir kommen der Innenstadt immer näher und verrenken uns die Köpfe, da wir hoffen, einen ersten Blick auf die Shwedagon Pagode, die komplett golden überzogen ist und über die Stadt hinausragen soll, erhaschen zu können. Derweil fängt der Taxifahrer an, in gebrochenem Englisch uns einzelne Sehenswürdigkeiten rechts und links des Weges zu erklären. Zum besseren Verständnis hat er auch einen Stadtplan auf dem Beifahrersitz parat, den er uns hinterreicht. Als er glaubt, dass wir dem nicht ganz folgen können, biegt er kurzerhand von der Hauptstraße ab und hält in einer kleineren Seitenstraße ein. Er nimmt sich einige Minuten Zeit, um uns nun alles noch einmal mit dem Finger auf der Karte zu erklären. Anschließend geht die Fahrt ganz normal weiter. Wir sind hin und weg. Schon am Flughafen fühlten wir uns mehr als willkommen, der Taxifahrer bestärkt das Gefühl noch mehr. Während wir am Inya-See vorbei fahren, fragen wir ihn nach der Aussprache einiger einfacher Wörter, wie „Hallo“ und „Danke“. Kurzerhand zieht der Fahrer sein Huwai-Smartphone aus der Brusttasche und macht eine Englisch-Myanmar-App auf. Er deutet während des Fahrens auf einige Wörter und wiederholt sie in myanmarisch. Dann reicht er uns das Handy hinter – zum „Selbststudium“. Zwischendurch wird zusätzlich noch die Yangon Sightseeing-App geladen, die ich nun aufgefordert werden, vorzulesen. Brav lese ich den englischen Tex vor, sobald ich eine längere Pause einlegen, um mir das Straßenbild anzuschauen, wir mir ein anderer Eintrag der App aufgeblättert und unter die Nase gehalten. Ich lese brav weiter.


- ca. 20-30 min später -
 
Wir erreichen das Agga Guest House in der 13th Street in Chinatown von Yangon. Hohe Wohnblocks begrenzen die enge Straße. Es sieht aus wie eine Satellitenstadt, reicht 8-10 Stockwerke hoch und lässt zwischen den Wohnhäusen lediglich für eine schmale Straße Platz. Diese ist komplett mit Autos und Anhängern zugeparkt. Das Taxi schafft es sich dennoch haarscharf an allen Blechungetümen dieser Straße vorbei zu schlängeln. Zwischendurch erhasche ich einen Blick auf Kleinwagen-große Generatoren, die zu den Wohnhäusern zu gehören scheinen. Unser Taxi bleibt direkt vor dem Guest House stehen, wodurch die Straße nun vollends blockiert ist – auch Fußgänger kommen nur noch schwerlich durch. An einem Ende der Straße sehe ich die für Südostasien typischen Garküchen – Blechwagen, die ein paar Gerichte oder Fruchtsäfte verkaufen, am anderen Ende scheint gerade ein Markt aufgebaut zu werden.

 
Die Wohnblöcke wirken trist ...
 

... und auf eine seltsame Art bunt zugleich.

Weil wir nicht genau abschätzen konnten, wie die Touristen-Anzahl in der ehemaligen Hauptstadt aussehen würde, haben wir vorsorglich im Internet eine Nacht gebucht. Wir werden freundlich und mit recht guten Englisch-Kenntnissen begrüßt. Unsere Schuhe bleiben, wie in den folgenden Wochen wohl noch häufiger, vor der Tür zurück. Dafür haben wir extra leichte Sandalen und FlipFlops mit – zum schnellen Aus- und wieder Anziehen.

Das Zimmer hat einen erwartungsgemäß leicht renovierungsbedürftigen Zustand, ist aber ungezieferfrei und hat ein halbwegs sauberes Bett, was für mich immer die bedeutendsten Punkte sind. Die Klimaanlage funktionert und für 25 USD für ein Doppelzimmer inkl. Internet und Frühstück hat es auch durchaus einen akzeptablen Preis. Einen Schlafplatz im Dorm/Schlafraum könnten wir auch bekommen – für 9 USD pro Nacht und Person. In jedem Fall gibt es für den gesamten Flur ein Gemeinschaftsbad. Wie in einem Land am Rand zur 3. Welt zu erwarten, besteht es aus einem Betonboden, leckenden Wasserrohren, Abflussrinnen, die das Wasser in undefinierbare Lücken der Wände leiten, wo es dann weiter in den Hinterhof fließt. Schimmel und Ablagerungen fühlen sich heimisch, aber kein Getier springt einen an. Schlimmer als auf manch' einer Campingplatztoilette in Europa und Nordamerika ist es also auch nicht.
- Szenenwechsel -

Wir laufen südlich unserer Unterkunft auf der Hauptverkehrsader des Zentrums, der Mahabandoola Road in östliche Richtung. Die Straße ist 4-spurig. Dicht an dicht drängen sich Autos, die sich in einer Art Stop-and-Go vorwärts bewegen. Rechts und links der Straße laufen Fußgänger, die dem Verkehr und gleichzeitig dem sich auf dem Bürgersteig ergießenden Markt entgehen. Wir stolpern mitten durch. Immer darauf bedacht, nicht an einem uns unbemerkten Gegenstand, hervorragenden Stein oder Schwelle hängen zu bleiben, gleichzeitig, aber nach dem Angebot des Marktes schielen zu können: es gibt Gemüse, Sachen, Obst, allerlei frittierte Snacks, Blumen... Zwischen den Ständen bleibt ca. ein halber Meter Platz, um sich hindurch zu schlängeln. Uns kommen Männer und Frauen unterschiedlichster Kulturen entgegen. Wir hatten gelesen, dass Myanmar mit einer Vielzahl von Volksgruppen aufwartet, allerdings hatten wir nicht erträumt, dass hier Inder mit Chinesen, Thailändern, Pakistanies, Vietnamesen und anderen Nationen zusammen arbeiten, leben und sich unterhalten. Offiziell sind sie natürlich alle Myanmaren, zum Großteil schon seit mehreren Generationen im Land und in allen Positionen fest integriert. Männer sowie Frauen aller Volksgruppen laufen im traditionellen Longyi herum, eine Art Rock, der eigentlich nur aus einem Baumwollschlauch besteht und bei Männern vorm Bauch, bei den Frauen wie ein Wickelrock gebunden wird. Es ist für uns Europäer durchaus ein ungewohntes, sicher aber auch ein faszinierendes Bild Männern mit Selbstverständlichkeit die überaus bequem aussehenden, knöchellangen Röcke zu sehen. Nur eine geringe Anzahl an Männern und Frauen tragen Hosen.
Die Bevölkerung trägt Longyis - Stoffschläuche, die je nach Geschlecht
unterschiedlich um die Hüfte gebunden werden.

- ca. 20 min später -

Wir überqueren die Straße an einem Fußgängerüberweg, der irgendwann in grauen Tagen mal weiß angestrichen wurde, nun unter dem ehemals weißen Putz die Brückenunterkonstruktion hervor blicken lässt. Wie sehr viele öffentliche Gebilde in dieser Stadt, ist der Überweg verziert mit gelben bzw. goldenen Ornamenten. Beim Besteigen der Treppe schauen wir auf einen Essensstand mit einer beachtlichen Auswahl an Gerichten – da liegen die traditionell in einer Art Brühen-Fondue zubereiteten Fleischspieße neben Reis mit Linsen, Gemüse aller Art, Suppe und diversen frittierten Fleisch. Rundherum ergießen sich eine Vielzahl an Plastikstühlchen, auf denen die ersten Menschen auf ihrem Nachhauseweg Platz nehmen. Wir gehen die Stufen weiter hoch. Links von mir kommt eine indisch-stämmige Myanmarin im traditionellen Shari die Treppe herunter gelaufen, dahinter schlurft ein bärtiger Muslime mit traditioneller Kappe und myanmarischem Longyi breitbeinig die Stufen herunter. Oben angekommen, erwartet uns ein myanmarisch aussehnender Vogelhändler in schwarzer Lederjacke und Longyi. Er deutet auf den dicht gefüllten Vogelkäfig vor ihm und sagt: „Lucky Bird...lucky bird“ und form anschließend beide Hände zu einem fliegenden Vogel. Wir nicken freundlichen, nehmen das Angebot aber nicht an. Am Ende des Übergangs kommt ein myanmarisch aussehender junger in Jeans-Hose Mann auf uns zu und erzählt uns mit betelnuss-verfärbten roten Zähnen, dass er von der anderen Seite des Yangon-Rivers kommt und uns für einen Tag herumführen kann. Auch hier lehnen wir erst einmal dankend ab – wir wollen die nähere Umgebung erst einmal in Ruhe auf uns wirken lassen, ohne zu viele Informationen zu bekommen, vorerst. Außerdem ist sein Englisch schwer zu verstehen. Vielleicht weil er noch immer ein kleines Päckchen an Betelnuss in seiner Wange bunkert. Am Mundwinkel läuft ihm etwas roter Speichel runter, ein Effekt, den viele Betelnussesser nicht vermeiden können, da es extrem speichelanregend wirkt.



Blick von oben auf eine der zahlreichen Garküchen
am Straßenrand.



- ca. 5 min später -

Am Ende der Straße baut sich ein goldenes Pagodendach im Himmel auf. Nach kurzem Blick in den Stadtplan wissen wir, dass es sich hierbei um die Sule Pagode handelt. Fasziniert vom Anblick laufen wir zielstrebig darauf zu. Vorm Eingang warten zwei Amerikanerinnen in kurzen Hot Pants, denen offensichtlich der Eintritt verweigert wurde. Wir checken kurz unsere Garderobe – Schultern bedeckt, Beinbekleidung mindestens knielang. Damit sollte es keine Probleme geben. Nichts wie rein. An einem der Eingänge erwartet uns ein kleines Holzregal zur Aufbewahrung unserer Schuhe, um eine kleine Spende wird gebeten. Ich kann leider nur einen 5000 Kyat-Schein hingeben, bekomme daraufhin 4600 Kyat zurück, um eineinhalb Meter später aufgefordert zu werden, nun eine „Donation“, also Spende für den Eintritt abzugeben. Netterweise wird auch gleich die Höhe des Betrags genannt, 1500 Kyat. Ich reiche mein Wechselgeld wiederum demselben Personal, welche mir abermals Wechselgeld herausgeben. Ein bisschen fühle ich mich veralbert – Situationskomik?
Das goldene Dach der Sule Pagode vor strahlend blauem Himmel.
Der Baustil sieht etwas abenteuerlich aus, scheint aber
die effizienteste und ökonomischste Lösung
zu sein.


- ca. 5 min später -

Wir umrunden die Pagode im Inneren im Uhrzeigersinn, so wie im Buddhismus üblich und versuchen mithilfe unseres Reiseführers ein paar Details zu verstehen. An welchem Wochentag wir geboren wurden und was das daraus resultierende Horoskop-Zeichen ist, wissen wir und können so schon etwas besser die acht Buddhas rund um die Pagode einordnen. Während einer kurzen Pause auf einer der Treppen zu Nebenkammern mit weiteren Reliquien, Statuen und Altaren, spricht uns ein Myanmare an. In recht gutem Englisch erklärt er uns, dass er Mitarbeiter bei MTT, der staatlichen Touristeninformation für Ausländer, wäre. Welch Glück, denn auf dem Weg dorthin waren wir ursprünglich. Jedoch hätte sie mittlerweile schon geschlossen, er könne uns aber sicher auch helfen. Es entwickelt sich eine eineinhalb-stündige Führung durch die Pagode, in der uns sämtliche Statuen, Bräuche, die die Gläubigen gerade vollführen und Symboliken erklärt werden. Am Ende rauschen unsere Gehirne von der Informationsflut. Wir bekommen noch eine Businesskarte von Aung in die Hand gedrückt, in der er auf seine Englisch-Kenntnisse und Lehrertätigkeit verweist. Wir sollen ihn am nächsten Tag am besten gleich als Führer anheuern, er würde uns die besten Ecken Yangons zeigen und uns die zahlreichsten Informationen geben können. Im MTT-Office arbeiten müsse er dann nicht, das würde er nur samstags und sonntags. Also könne er uns wirklich den kompletten Tag durch die Stadt führen. Unsere Augen bekommen einen leicht fröhlichen Glanz. Denn ich hatte schon in mehreren Büchern gelesen, dass einzelne Reisende immer wieder lokale Führer hatten, konnte aber nirgendwo den Tipp finden, wie man an solche Führer kommt. Spätestens am nächsten Tag begreife ich:
Laufe als Ausländer einfach nur in einen der zahlreichen Pagoden Myanmars herum und es werden keine 10 min vergehen, in denen sich nicht irgendein „Guide“ findet. Darauf dass man die Aussprache versteht, sollte man besonders achten, sonst wird es ein sehr anstrengender Tag.

Beim Verabschieden werden wir für die eineinhalb-stündige Pagoden-Führung um eine kleine Spende gebeten – 5000 Kyat, also rund 5 Dollar würden ausreichen, damit sich Aung ein Abendessen kaufen könne. Wir sind etwas verwundert über die Offenkundigkeit der „Spendenanfrage“, sehen andererseits aber auch ein, dass er wirklich einen guten Job gemacht hat.

Damit der Buddha des Geburts-Wochentags auch Glück
bringt, wird er regelmäßig gewaschen und mit
Wasser übergossen.

Gegen den dunklen Nachthimmel betrachtet, sieht
das goldene Spektakel noch viel beeindruckender aus.

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