Dienstag, 20. Januar 2015

Myanmar - Mönchsein für 24 Stunden: keine Haare, keine Frauen

Wir haben uns für halb neun mit Beayel in unserem Hostel verabredet. Während wir noch beim Frühstück sitzen und unseren Linsen-Reis mit Spiegelei (ziemlich fettig, aber lecker) und einen Kaffee inkl. Kaffeeweißer genießen, wartet unser Reiseführer des heutigen Tages schon auf uns.

Als erstes werden wir von ihm quer durch Chinatown geführt, um ein paar hundert Meter später die vierspurige Hauptverkehrsstraße zu überqueren und zur "Bushaltestelle" zu gelangen. Wie in vielen asiatischen Ländern ist die Bushaltestelle durch kein Wartehäuschen oder Schild gekennzeichnet. Lediglich eine größere, wartende Menschenmenge zeigt an, dass hier ein guter Platz für einen Busstopp ist.
Ein laut knatternder Bus kommt heran gefahren. Die Seitentür hängt nur noch schlacksig in ihren Angeln. Ein Mann, mager, braun gebrannt und mit einem weißen Unterhemd und einem karierten Longyi bekleidet lehnt sich aus der Tür. Er rotzt einmal kräftig auf die Straße, wobei die Hälfte seines Auswurfs an der Busaußenseite als braun-rötlicher Streifen kleben bleibt. Ein paar Spritzer landen vor einem Wartenden auf dem Boden. Im nächsten Moment fängt der Mann laut an zu schreien. Offensichtlich schreit der die Fahrtrichtung beziehungsweise das Endziel des Busses. Der Fahrer verringert etwas das Tempo. Ein paar Wartende springen mit einem großen Satz die hohe Stufe in das Businnere hoch. Unterstützend zerrt der Mann an der Tür an ihren Armen und zieht sie hinein. Bald darauf beschleunigt der Bus wieder. Ein blechernes Dröhnen und schwarzer Ruß aus seinem Auspuff bleiben zurück.
Der nächste Bus nähert sich, auch sein Motor macht eher den Eindruck als hätte sich langwierig und hohl klingender Keuchhusten drin festgesetzt. Seine Front ist mit bunten Mustern verziert und durch die Windschutzscheibe kann mal allerhand religiöse Verzierungen auf dem Armaturenbrett und am Rückspiegel erkennen. Auch hinter dem Scheibenwischer stecken ein paar Glücksbringer: ein paar frische Zweige mit rötlich-grünlichen Blättern und ein paar Blüten.
Auch hier findet wieder dasselbe Schauspiel wie beim vorangegangenen Bus statt. Da wir die myanmarischen Schriftzeichen nicht beherrschen und selbst die Zahlen hier anders aussehen, sind wir momentan voll uns ganz auf die Hilfe unseres Reiseführers angewiesen. Er gibt uns ein Zeichen und schon springen wir in den Bus hinein.
Drin ist es eng. Mehr als die Hälfte der Leute stehen. Wir ziehen unsere Köpfe ein, um nicht anzustoßen. Man hat die Inneneinrichtung fast komplett raus gebaut und durch ein paar einfache Holzbänke in Fahrtrichtung ersetzt. Unter uns röhrt das Getriebe. Durch die Sohlen der Flip Flops spüre ich, wie die Bodenplatte immer heißer wird. Sie besteht aus schmalen Holzleisten durch deren Ritzen man den vorbei fliegenden Asphalt sehen. Während der Bus hin und her ruckelt, sortieren sich die Leute im Bus. Der eine drückt sich bis zur Tür, um demnächst aus zu steigen, ein anderen ergattert einen Sitz- oder einen besseren Stehplatz. Auch uns wird nach kurzer Zeit ein Sitzplatz neben dem Fahrer angeboten. Wir lehnen dankend ab - so viel Extrawurst muss nun auch nicht sein. Aber auch im Verlauf des restlichen Tages werden uns besonders gute oder in vollen Bussen, einfach nur freie Plätze angeboten. Etwas verwirrend für uns ist, dass diese Angebote selbst von älteren Herrschaften kommen. Wir deuten es als weiteres Zeichen der hohen Gastfreundschaft in diesem Land. Auch passiert es uns, dass jemand mit einem "Gespräch" anfängt. Wo wir herkommen, ist wohl die häufigste Frage, die ein Tourist in diesem Land erhält, gefolgt von der Frage nach der Reisedauer in Myanmar. Damit haben sich die meisten Unterhaltungen auf der Straße oder in öffentlichen Verkehrsmittel auch schon erschöpft.
Nun aber zurück zum Bus. Dort sitzt der Fahrer hinter einem großen Lenkrad. Die Armaturen vor ihm sind zum Teil heraus gebrochen, so dass man einen riesigen und undurchsichtigen Salat aus Kabel verschiedenster Farbe sehen kann. Auch die Lenkstange wurde freigelegt. Die Busse erinnern nicht daran, dass wir im Jahr 2014 leben, sondern machen eher den Eindruck, als wären sie mit einem russischen Panzer aus den 40er Jahren verwandt. Ich weiß nicht, wie alt die Busse sind, aber Methusalem machen sie allemal Konkurrenz. Und diese Methusalem muss bewegt werden. Das erfordert einiges an Erfahrung, Können und Zähigkeit. Der Fahrer sitzt mit magerem und gekrümmten Oberkörper da und kurbelt das Lenkrad mal nach recht, dann wieder nach links. Das Zeitalter der Servolenkung liegt für ihn noch Lichtjahre entfernt. Auch das Schalten ist nicht ganz einfach. Da der dritte Gang nicht mehr zu funktionieren scheint, muss der Fahrer das Getriebe bis zu fünftausend Umdrehungen treiben, um dann schlagartig in den vierten wechseln zu können.Bei dem permanenten Stop-and-Go im dichten Autoverkehr Yangons kommt dieses Prozedere relativ häufig vor.

die Busfahrer von Myanmar sind zähe Burschen

Nachdem wir ca. 1 Stunde stadtauswärts gefahren sind, verschmälert sich der Fahrweg immer mehr; von einer vierspurigen Straße hin zu einer festgefahrenen Sandpiste durch eine Siedlung am Rande Yangons. Immer wieder kommen wir an einzelnen Mönchen mit Almosenschale und zum Teil ohne Schuhen vorbei. Sie laufen von Haus zu Haus und sammeln stumm ihre Spenden.
Wir verlassen den Bus und laufen an einer wunderschönen, goldenen Pagode vorbei. Plötzlich stehen wir vor einem Meditationszentrum, einer Monastry. Kleine und wenige erwachsene Mönche betreten oder verlassen das Haus. Einige lugen hinter der Balkonbrüstung herunter - schüchtern, aber doch neugierig erklingt ihr Giggern hinter vorgehaltener Hand.
Uns wird der "Hausmeister", ein Freund und ehemaliger Schüler Beyaels vorgestellt. Er führt uns auf das Dach der Monastry. Ein wunderschöner Blick eröffnet sich uns. In der Ferne kann man die Shwedagon Pagode erkennen. Man schaut über die umliegenden Häuser hinweg, erblickt hier und da ein goldenes Dach. Aber vor allem kann man hier oben eine unglaubliche Ruhe genießen. Kein Straßenlärm ist zu hören, keine Hähne, die krähen, keine laute Musik.
Nach einigen Minuten gesellt sich der Abt zu uns. Beyael erzählt ihm ein paar Dinge zu uns, wo wir herkommen, wie lange wir bleiben. Schließlich werden wir zum Abt gebeten.  Beyael sagt, wir könnten dem Amt nun die Hand schütteln. Wir sind etwas verunsichert, da wir nicht wissen, wie man einem buddhistischen Abt angemessen die Hand schüttelt. Unser Guide hält sich leider trotz Nachfragens auch bedeckt. Schließlich entscheiden wir uns für die gewohnte europäische Art gepaart mit einer leichten Verbeugung. Der Abt scheint nicht wirklich begeistert und zieht sich recht schnell zurück. Im Nachhinein macht uns Beyael vor, dass wir uns hätten tiefer verbeugen und die linke Hand an das rechte Handgelenk nehmen müssen. Nun gut, für das nächste Mal wissen wir es nun.


Eine der Pagoden in der Nähe der Monastry.
Nicht selten siedeln sich die Klöster in der
Nähe einer (bedeutenden) Pagode an.

Nach der Terrassenbesichtigung geht die Hausführung weiter. Wir laufen durch das oberste Stockwerk. Rohe Betonwände machen den Raum dunkel und grau. Dies sei der Wohn- bzw. Schlafraum einiger Mönche. Wir sehen Kistenstapel, die kreuz und quer im Raum verteilt sind. Im hinteren Teil wurden Möbel aufeinander gestapelt. Weiter vorn haben sich einige Mönche versucht, private Ecken abzugrenzen, in dem sie Decken aufgehängt haben. Dazwischen sieht man einfach Liegen oder breite Betten hervorlugen. Es macht mehr einen provisorischen Eindruck und man kann sich schlecht vorstellen, dass hier dauerhaft jemand lebt. Einerseits ist uns bewusst, dass ein Mensch nicht viel mehr, als das was er am Körper trägt, benötigt, doch geht von diesem Raum auch eine gewisse Tristheit aus.
Eine Etage tiefer werden wir in den "Education Room" geführt. An der breitesten Seite des Raums ist ein Schrein in die Wand eingelassen. Ein goldenen Buddha sitzt auf einem Tisch. Hinter ihm leuchten LED-Verzierungen in mehreren Farben auf. Diese Deko-Elemente erfreuen sich in Myanmar äußerster Beliebtheit. Hat man doch durch die moderne Technik einen Weg gefunden, die Erleuchtung Buddhas noch viel eindrucksvoller und sinnbildlicher darzustellen. Auf dem Opfertisch vor der Statue stehen Blumen und andere Opfergaben, unter anderem ein Mönchs-Starterkit. Darin sind in einem Körpchen alle Habseligkeiten eingeschweißt, die ein Novize und Mönch braucht: Opferschale, Wasserfilter, Gewand, Tuch, Rasiermesser, FlipFlops, Nähzeug, Löffel.
Beyael legt die von uns am morgen gekauften Bananen daneben.

Wir lassen uns für ein paar ruhige Minuten auf eine Reismatte vor den Altar nieder. Grüner Tee wird serviert. Und so hocken wir auf dem Boden und bekommen ein paar Einzelheiten zur Monastry und zur Mönchs-Kultur in Myanmar erzählt. Sven wird sogar angeboten, dass er für ein, zwei, sieben Tage oder wie lange er eben will, Mönch sein kann. Es würde lediglich von seinem Wunsch abhängen. Aber er müsse sich in diesen Tage gilt: keine Haare, keine Frau und nur morgens und vormittags essen. In Svens Ohren scheint es nicht wirklich lukrativ zu klingen.
Beyael erzählt uns, wie normalerweise jeder Myanmare eine zweiwöchige Novizenschaft absolviert, diese aber problemlos auf mehrere Wochen, Monate oder Jahre ausgedehnt werden kann. Da die Jüngsten hier im Kloster 3, 4 oder 5 Jahre erst sind, übernehmen die erwachsenen Mönche und Lehrer, wie Beyael, die Rolle des Ersatzvaters.
Neben der kostenlosen Schulbildung, die für einige Familie die Grundvoraussetzung ist, dass ihre Kinder überhaupt die Schule besuchen können, bietet der Klosteraufenthalt den Vorteil, dass die Jungen in einem klar geregelten pädagogischen Umfeld lernen für sich und ihre Mitmenschen zu sorgen. Jeder im Kloster hat eine Aufgabe, auch die Kleinsten. Das fängt beim Gaben sammeln an und hört beim Wäsche waschen, Treppe fegen und Abwaschen auf.

Das Gespräch kommt langsam zum Erliegen, Ruhe kehrt ein. Die Zeit ist vorgesehen für "Relaxing". Beyael stellt fest, dass wir ja nun alle ganz erholt und ganz ruhig wäre. Wie schön das doch wäre.
Mit zusammengebissenen Zähnen nicke ich zaghaft. Und muss dabei unentwegt  an meine krabbelnden Beine denken. Ich weiß nicht, wie ich noch länger still halten soll. Am liebsten würde ich aufspringen und mich überall kratzen. Denn alle Körperteile, die direkt die Reismatte berühren sind heillos zerbissen. Wie froh bin ich, als uns kurze Zeit später Mittagessen angeboten und wir in das unterste Stockwerk geführt werden. Erleichtert springe ich auf und prompt hört das Beißen auf.

Die Mönche sind bereits halb elf von ihren Almosenrundgängen zurückgekommen. Die Lebensmittel, die sie mitgebracht haben, wurden zugleich zu einem gemeinschaftlichen Mittagsmahl zubereitet. Für die Mönche ist dies die letzte Mahlzeit des heutigen Tages. Während sie sich zurück ziehen, werden wir an einen runden Tisch gebeten - Reis mit Linsen, verschiedene Gemüsespezialitäten mit Ingwer und Chili werden uns serviert. Es ist ein interessantes Erlebnis - scheinbar nicht nur für uns, denn ab und an schaut ein kleiner, neugieriger Novize hinter einer Ecke hervor.
Das Mittagsmahl - zubereitet aus Spenden an die Mönche


Nach dem Mittagessen werden wir abermals zum Abt geführt. Er sitzt im Lotussitz auf einer Couch und scheint uns bereits zu erwarten.
Da wir nun besser instruiert sind, getrauen wir uns, dem Abt direkt unsere Donations zu geben. Da er Geld nicht berühren darf, haben wir es zuvor in einem Briefumschlag verpackt. Auf den Schienbeinen hockend, den Kopf tief gebeugt und die Hände zusammen gefaltet nach vorn gestreckt, reichen wir ihm die Gabe. Es wird ausreichen, um die Unkosten für unser Mahl und ein paar weitere Mahlzeiten für die Mönche zu decken.  

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